20.10. – 14.11. Irmgard Mellinghaus & Gertrud Griesser |
Die Galerie Nothburga lädt ein zur Ausstellung GERTRUD GRIESSER IRMGARD MELLINGHAUS Objekte, Installationen VERNISSAGE: Dienstag, 20. Oktober 2015 19 Uhr REDE ZUR AUSSTELLUNG: Kurator Hubert Salden ORGANISATION: Anna Maria Achatz AUSSTELLUNGSDAUER: 21.10. - 14.11.2015 MI - FR: 16 - 19 Uhr Sa: 11 - 13 Uhr Irmgard Mellinghaus untersucht in ihrem Environment unser Bedürfnis nach Erklärbarem und Sicherem. Fragen an das Leben stellt sie in "wissenschaftlichem" Kontext. Die Wissenschafterin unterscheidet im "Labor II" zwischen Realität und Wirklichkeit. Es wird von der Macht der Berührung und der Unzulänglichkeit von Vorstellungen gesprochen. Natur wird als dem Menschen immanent behandelt. Raum und Zeit schwanken in ihrer Bedeutung zwischen Einschränkung und Notwendigkeit. Im "Labor II" verwandelt die Künstlerin die subjektiven Erkenntnisse der Wissenschafterin in Objekte.
Gertrud Griesser bezieht sich in ihren Objekten auf das Alltagsleben. Sie thematisiert unser Selbstverhältnis, unser Verhältnis zum Anderen, zu dem, was ist. Menschen richten sich ein in ihrer Lebenswelt. Es geht um das komplexe Zusammenspiel von Innerem und Äußerem, von Autonomie und Abhängigkeit, von Privatem und Öffentlichem, von Offenlegen und Verbergen. Fundstücke, bereits benutzte Gebrauchsgegenstände, werden umgearbeitet, eingebaut oder in einen anderen Kontext gestellt, Teile demontierter Altmöbel neu zusammengesetzt. Funktion und Funktionslosigkeit greifen ineinander. Es entstehen Arbeiten, fragil wie wehrhaft. Die kleinen Zeichnungen mit jeweils individuellem Format sind Ausschnitte ursprünglich größerer Arbeiten. Sie fungieren, auf ungleicher Höhe, in unterschiedlichen Abständen voneinander angeordnet und auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden, als Bausteine einer Wandinstallation.
Vernissage: nahe dem Alltag terre à terre So unterscheiden wir die heißen von den kalten Künstlerinnen und Künstler. Die heißen arbeiten passioniert aus der Innenwelt gespeist. Die kalten sind eher agonal, apathisch, an der Oberfläche interessiert. Irmgard Mellinghaus und Gertrud Griesser zählen zu den heißen Künstlerinnen, zwar mit der Außenwelt verwoben, doch ihr Zugriff auf Welt kommt von innen und geht über das Außen und das Formale hinaus. Peter Handke spricht bei diesem Vorgang des Findens, der die Künstlerinnen kennzeichnet, von der Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Jeder seiner Sätze wie jede hier gezeigte künstlerische Arbeit hat eine Geschichte. Das Gehen durch die Ausstellung und das Anschauen ergibt ein Erkennen der Außenwelt; die Betrachtenden sind im Bilde. Und doch: das Gesehene entfaltet zugleich einen Ausdruck der Innenwelt. In diesem Vorgang erweist sich unser bildnerisches Bewusstsein. Aber es geht darüber hinaus: die künstlerischen Arbeiten fordern zum Gespräch auf. Das Strandgut der Außenwelt, welches durch den künstlerischen Akt die Innenwelt nach außen bringt, stammt aus einer Gesellschaft nach dem Zivilisationsbruch (Hannah Arendt), einer Gesellschaft, die in viele Parallelgesellschaften zerfallen ist, in der die Macht und die Verantwortung, die Leistung und der Erfolg voneinander gelöst wurden. Die beiden Künstlerinnen halten sich an das Trotzdem, indem sie weniger das Formale und Funktionale in den Mittelpunkt stellen als vielmehr damit beginnen, nach dem Ganzen zu fragen. Den nach außen gekehrten Kasten nennt Gertrud G. „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“. Die Haltung, sich aus der abhängigen Position hinauszubegeben, befördert die Arbeit „Die Königin denk‘ ich mir dazu“. Sie macht deutlich, dass wir – obwohl eingebunden - über Möglichkeiten verfügen, weil uns eine Kompetenz und ein Reflektionsvermögen zur Verfügung stehen.
Irmgard M. schiebt den Käferlarvenfraß zur Leiterplatte. So werden nicht zwei, sondern drei Register der Energie deutlich: Die eine der beiden Künstlerinnen dreht, die andere wendet. Indem sie sich im Miteinander austauschen, sich verknüpfen, befreien sie sich aus den Zwängen der Standardisierung und den Vorschriften der political correctness. Ihre gemeinsame Arbeit in dieser Ausstellung versetzt die Gegenstände in neue Kontexte. Es sind die Bezüge, welche die künstlerischen Arbeiten zum Sinnbild für den Freiraum werden lassen. Auf einmal stand die Sichel der Notburga für die Landarbeit nicht mehr zur Verfügung. Sie bleibt in der Luft hängen. Sie wird in der Weile verfügbar für etwas Höheres, Transzendentes. Notburga überschreitet sowohl die Grenzen der physikalischen Möglichkeit als auch ihre beruflichen Zwänge. Die Sichel, ein Gegenstand der Außenwelt, bringt den Freiraum der Innenwelt zur Geltung, den der Notburga, der Irmgard M., der Gertrud G.
Die Ausstellung zeigt dazu hier die Arbeit „Weltgrenze“ ganz eingefaltet, da das „Labor“, das sich weit auffächert. Das Labor mit seinen Recherchen, Forschungsberichten und Fragen mit offenem Ausgang ist sehr durch die Rahmen für das Spinnenexperiment gekennzeichnet. Die Spinnen weben und betrachten von mehreren Seiten, über eine Vielzahl von Netzen. Was geschieht, wenn die Spinne ihre Fäden mit ihrem Weitblick nicht allein auf die vorgegebenen Rahmen spannen, sondern von einer künstlerischen Arbeit zu nächsten? Sie experimentieren, entdecken, führen uns zur Sichtgrenze, an den Dagegen stellt sich das Geständnis: I love my balcony. Ich brauche meinen Rückzugsort, einen Platz, an dem die Welt draußen bleibt. Mit Ironie beharre ich auf dem Meinen. „Sollen doch die anderen …, jedenfalls nicht ich!“ Es gibt die vielen, vielen Balkone. Es ist eine Arbeit über die Nicht-Positionierung und der damit verbundenen Angst und Gleichgültigkeit. Der Balkon zeigt die Möglichkeit der Distanzierung, sich auf den Privatbereich zurückzuziehen und doch von oben herab dabei zu sein. Dazu schallt eine Stimme aus Rom herüber: „Leute, verlasst eure Balkone und mischt euch auf der Straße ein!“ Die Ausstellung mit ihren Bezügen kann sich als integer zeigen. Integer heißt unversehrt. Sie ist unversehrt, weil sie die Frage nach dem Ganzen stellt. Die Künstlerinnen weisen durch die Art und Weise der Installation ihrer gemeinsamen Ausstellung darauf hin, was seelische Reife bedeutet. Sie haben keine Angst, mit ihren künstlerischen Arbeiten in die Berührung zu gehen und damit Bezüge aufzumachen. Das ist die Voraussetzung dafür, ein drittes Ganzes als etwas Neues zu zeigen. Cusanus, der hier in Tirol wirkte, sprach von der coincidentia oppositorum, in der die Gegensätze in eins fallen, über das wechselseitige Betrachten, das verantwortliche Sprechen und Tun, die Bezüge von Innen und Außen. Er wies einen Weg hin zur personalen Integrität im Sinne der Ganzheit, dem Schlüssel zur Ausstellung „nahe dem Alltag. Terre à Terre“. Es verlaufen gegenläufige Strömungen und doch beziehen sich die gezeigten Arbeiten aufeinander. Sie fordern zum Gespräch darüber auf, eine neue freie und eigenständige Handlungsweise zu erwandern und den Berg im Gegenüber zu fragen: „Sesam, öffnetest du dich?“geschrieben von Hubert Salden im Oktober 2015 |
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